Die Bedeutung von Worten

Autor: Ossian (Ossian1066@aol.com)



Disclaimer: Die Serie selbst und ihre Charaktere sind Eigentum von WB und seinem Autorenstab
Übersetzung: Lina (lina61@gmx.net)
Anm. d. Übersetzer: Alli gibt meinen Übersetzungen einen neuen Sinn...





Michael Guerin war die einzige ihr bekannte Person, für die die Worte „Liebe“ und „Haß“ völlig austauschbar waren.

Als Kind verwendete er den Satz „Ich liebe dich“ als Beschimpfung. Er hörte ihn nie in einem Zusammenhang, den er verstehen konnte. Wenn sie ihn diesen Satz herausspucken hörte, hörte sie unbedeckten Hohn und Sarkasmus. „Schieß los. Egal was du sagst, es kratzt mich nicht“, sollte es bedeuten. Er warf das mitten in einen Streit wie Spott, wie eine Beleidigung. Bloße Worte bedeuteten nichts, insbesondere nicht diese Worte. Die bloßen Worte taten nicht weh. Nicht, wenn er sie nicht glaubte.

„Ich hasse dich“ war noch ein – vertrauterer – Satz. Er schrie ihn ihr öfters auf dem Spielplatz zu, wenn sie einander ärgerten. Sie wußte zwar nicht warum, aber sie empfand ein perverses Vergnügen darin, die einzige Person zu sein, die eine solch leidenschaftliche Wut in ihm auslösen konnte. Erst als beide älter wurden, hatte sie die Bedeutung verstanden. Er schrie sie wieder an: „Ich hasse dich“ und dann küßte er sie – für sie der sinnlichste Kuß überhaupt. „Du bist mir zu nah“ – das hatte er gemeint, „Ich habe Angst vor dem, was du mich fühlen läßt“.

Irgendwie hatte er alles verdreht. Und irgendwie verstand sie es.

Ein Teil von ihr war enttäuscht, weil er ihr nie sanft und zärtlich „Ich liebe dich“ zugeflüstert hatte. Ein Teil von ihr war sicher, daß sie an einem Herzinfarkt sterben würde, falls er es doch täte. Ein weiterer Teil von ihr wußte ganz genau, daß diese einfachen Worte nie die Tiefe der Empfindungen ausdrücken konnten, die sie in seinen Augen sehen, in seinen Händen spüren, in seinen Küssen kosten konnte.

Was er ihr nicht sagen konnte, zeigte er ihr.

Sie fuhr mit ihren Fingerspitzen durch sein wiedermal kurzes, stachelig aussehendes Haar. Im Schlaf sah sein Haar nur noch wilder aus. Sie lächelte dieses Durcheinander an. Er bewegte sich leicht bei ihrer Berührung, wachte aber nicht auf.

Sie wußte, daß viele Menschen nicht verstanden, was sie in ihm sah, warum sie bei ihm blieb. Er war nicht wie Max, mit einem süßen Lächeln und gütigen Herzen. Nicht wie Alex, voll von Begeisterung und jungenhaftem Charme. Er war bloß Michael, mit all seinen scharfen Ecken und rauhen Kanten. Aber sie war auch nicht Liz, eine perfekte Freundin für den Süßen und Gütigen. Sie war auch keine Isabel, die von dem Jungen, der in ihre Seele sehen konnte, von den Füßen gefegt wurde. Sie war Maria, eine Kämpferin für einen Kämpfer.

Und sie kämpften. Laut, hitzig, leidenschaftlich. Sie ärgerten sich über sinnlose, mickrige Sachen. Über bedeutungslose Sachen, manchmal über wichtige. Dann sah sie das Funkeln in seinen Augen. Nicht Abwehr oder Kapitulation, sondern Anerkennung. So waren sie eben.

Ihr Hand bewegte sich zu seinem Gesicht, gleitete über seine Wange. Sie spürte die Stoppeln, als sie über sein Kinn fuhr.

Ungeachtet leuchtender Beispiele, vorgemacht von Max und Alex, glaubte sie kaum daran, daß er sie jemals bitten würde, ihn zu heiraten. Er hielt nicht viel von Zeremonien. Sie war bei ihm. Sie würde ihn nie verlassen. Das war alles, was er wollte. Sie fürchtete manchmal, daß er derjenige sein würde, der sie verließ. Daß er weggehen würde, ohne sich umzudrehen – wenn er irgendwann den Ort finden würde, von dem er stammte. Einmal, in einem Moment des Zweifels, hatte sie ihn gefragt, was er tun würde, wenn er die Möglichkeit dazu hätte.

Er dachte nach. Sie liebte ihn dafür. Keine sofortige, leichtsinnige Beruhigung. Er hatte nachgedacht. Dann sah er sie an. Ich vermisse dich, wenn ich zur Arbeit gehe, sagte er. Wie könnte ich überleben, wenn ich die Galaxie ohne dich durchqueren müßte? Wenn ich gehen muß, fragte er dann, kommst du mit? Sie schuldete ihm genau soviel Ernsthaftigkeit. Sie dachte nach. Und dann nickte sie. Wenn er geht, dann geht sie auch. Nach Albuquerque, oder Arlington, oder Alpha Zentauri. Sie kommt mit.

Sie streichelte mit dem Daumen über seine Lippen. Sein Mund formte ein schwaches Lächeln. Er schlief aber noch.

Sie konnte nicht erklären, warum sie ihn liebte. Er war noch immer eigensinnig und unberechenbar. Er reagierte zu heftig und trieb alles auf die Spitze. Er konnte völlig irrational, unrealistisch und hirnplatzend paranoid sein. Aber alles was er tat, tat er mit ganzem Herzen. Er war nie halbherzig. Er konnte ausgesprochen poetisch sein, wenn er wollte. Er konnte jedes Gefühl in einer Zeichnung festhalten. Und er wußte alles, was sie fühlte, alles, was sie sagen wollte, nur indem er sie ansah. Nicht nur wußte. Er verstand.

Sie führte ihre Finger entlang der unsichtbaren Linie bis zu seiner Nasenspitze. Er öffnete die Augen. Braun und verschlafen.

„Was machst du da?“ fragte er, und ein Grinsen erleuchtete seine Augen noch bevor es auf seinen Lippen erschien.

„Schau’, wie du schläfst. Ich bin noch nie dazu gekommen.“

„Nicht sehr aufregend, nicht wahr?“

„Nein“, stimmte sie zu. „Nichts außerordentliches.“

Er sah sie gedankenvoll an. „Ich schlafe nicht mehr.“

„Nein“, sagte sie wieder, ihr eigenes Grinsen wuchs. „Nicht mehr.“

Seine Arme umwickelten sie. „Du bist zu weit weg.“

Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter, ihre Lippen an seinem Hals. „Besser?“

„Für den Anfang.“







Die Bedeutung von Worten:

Die andere Seite



Maria DeLuca war die einzige Person, die hören konnte, was er nicht gesagt hatte.

Es schien so, als hätte sie immer gewußt, daß was er sagte und was er meinte zwei völlig verschiedene Dinge waren. Wenn er „I hasse dich“ schrie, hörte sie „Ich habe Angst“. Wenn er fies war oder undankbar, fühlte sie nicht seinen Ärger, sondern seinen Schmerz. Wenn sie sich bekämpften, wußte sie, daß es der einzige ihm bekannte Weg war, sich mitzuteilen. Wenn er sie wegstieß, um sie zu beschützen, kam sie zurück, um ihn zu retten.

Ungeachtet dessen, was er unternahm um seine Empfindungen zu unterdrücken, wußte sie, was er im Sinn hatte.

Er wußte, daß sie darüber bekümmert war, daß er ihr nie gesagt hatte, daß er sie liebte. Er konnte es nicht. Er traute den Worten nicht. Sie drücken nicht immer aus, was man fühlt. Sie können verzerren und verfälschen, und bedeuten nie das Gleiche für zwei verschiedene Menschen. Er hatte ihr so oft gesagt, daß er sie haßte, ohne es wirklich zu meinen, so daß es ihm irgendwie hohl erschien, ‚ich liebe dich’ zu sagen. Statt dessen bemühte er sich es ihr zu zeigen. Wenn er sie küßte, legte er in den Kuß alles, was er jemals für sie empfunden hatte.

Sein Bleistift flog über das Blatt. Sogar auf dem Papier lebten ihre Locken ein eigenes schwungvolles Leben. Sie lächelte ihn von der anderen Seite des Zimmers aus an. Er war froh, daß sie ihre Haare wieder wachsen ließ.

Er wußte, daß viele Menschen nicht verstehen konnten, was ihn zu ihr trieb. Die Meisten von ihnen dachten, sie wäre ausgeflippt oder verrückt. Die Meisten von ihnen waren Idioten, beschloß er. Er dachte nie, daß Maria verrückt sei. Nicht seit dieser Nacht vor langer Zeit, als sie sich durch das Zimmer eines zweifelhaften Motels in Süd-Texas anstarrten. In dieser Nacht wurde ihm zum ersten Mal klar, daß es nicht ausschließlich den Aliens vorbehalten war, sich alleine und verlassen zu fühlen, und sich verzweifelt ein anderes Leben zu wünschen. Er sah plötzlich, daß er mit ihr viel mehr gemein hatte, als er es sich je vorstellen konnte, und das unabhängig von Biologie, Evolution und der Tatsache, daß er ausgebrütet und nicht geboren wurde.

Sie hatte nicht die Gelassenheit von Isabel, aber eine eigene Grazie, die ihm die Sprache verschlug. Sie war nicht so belesen wie Liz, aber sie war seine Erleuchtung. Alex und Max sollten ihre märchenhaften Romanzen genießen, wo alles glatt ging und Sinn machte. Ihn störte es nicht, überrascht, verwirrt und völlig überwältigt zu sein. Maria war wie Feuer und Stahl. Er liebte ihre Leidenschaft, und er brauchte ihre Strenge.

Ihre Augen funkelten und leuchteten, als er die Skizze anfertigte. Es war schwierig, dieses Leuchten auf einem weißen Blatt mit grauem Blei festzuhalten, aber er gab sich Mühe. Einmal fragte sie ihn, ob er sie irgendwann verlassen würde. Er war sprachlos. Sie glaubte vielleicht, daß er nachdachte. Er dachte nicht nach. Nicht darüber. Darüber mußte er nicht nachdenken, er konnte sich nicht vorstellen, sie zu verlassen. Als er endlich antwortete, sagte er das, was seinem Kopf sofort entsprungen war. Worüber er nachgedacht hatte war, warum sich diese Antwort so richtig anfühlte.

Ihm wurde klar, daß es ihn zum ersten Mal in seinem Leben nicht störte, wenn er den Rückweg nicht finden würde, zu einem Planeten, den er nie sah, und ein Stern umkreiste, dessen Namen er nicht kannte. Er mochte von dort kommen, aber es war nicht seine Heimat. Seine Heimat war überall, wo diese Frau ihren Kopf niederlegte. Er konnte ohne Antworten leben. Aber nicht ohne sie.

Er fragte sie, ob sie mit ihm kommen würde, wenn er den Weg zurück zur dieser verlorenen Welt finden würde. Er war nicht mutig genug um zu fragen, ob sie ihn jemals verlassen würde. Sein Herz hörte zu schlagen auf, als sie ihn schweigend ansah. Es fing wieder zu schlagen an, als sie nickte. Sie würde mit ihm gehen. Nach Albuquerque, oder Arlington oder Alpha Zentauri, sagte sie.

Sie lächelte ihn an, mit dieser unwiderstehlichen Linie ihrer Lippen. Er hatte seinen Bleistift fast vergessen, mehr von der Frau als vom Zeichnen hingerissen. Die Zeichnung war sowieso fertig.

Er wußte genau, daß er sie liebte. Sie brachte ihn zum Lächeln. Sie brachte ihn zum Lachen. Sie gab ihm das Gefühl, begehrt und gebraucht zu werden, vollständig zu sein. Sie zwang ihn, sich menschlich zu fühlen. Sie gab ihm alles, was er nirgendwo sonst finden konnte. Sie war alles was er brauchte. Sie war Sonnenschein und Luft und Liebe. Ohne sie zu sein wäre, wie im Vakuum zu leben.

„Wirst du nie müde, mich zu zeichnen?“

„Nie.“

Er war sicher, sie würde lachen, wenn sie wüßte wieviele Zeichenblöcke er mit ihren Bildern gefüllt hatte, wie oft er sie aus dem Gedächtnis gezeichnet hatte – in all diesen Jahren.

„Bist du fertig?“

„Mit der Zeichnung,“ er nickte.

„Willst du was anderes anfangen, Spaceboy?“

Er grinste und legte den Zeichenblock weg.

Ende