Postkarten von der Kippe (Postcards From The Edge) by Elizabeth (uhmidont@yahoo.com) Translation: Lina (lina61@gmx.net) Category: UC / PG-13 Disclaimer: Ich besitze die Charaktere noch immer nicht. Summary: Wie Maria den Sommer verbrachte; Maria POV Spoilers: Leichte Anspielungen auf die erste Episode der 2. Staffel. Es scheint mir sicher zu behaupten, dass die Serien-Autoren die Richtung dieser Geschichte nicht verfolgen werden. Wiederhole ich mich eigentlich ständig? Thanks: Für Amy und Joy, die mich an die Möglichkeit für zwei Menschen glauben ließen, an die ich nie gedacht hatte. Authors Note: Die Idee für diese Geschichte kam mir, nachdem ich das Foto aus Death Valley von Ansel Adams sah, welches unter http://www.wickiup.com/wickiup/dvgallry/aal00009.html zu finden ist. August 31-September 11, 2000 Anmerkungen des Übersetzers: (1) Das erwähnte Foto wurde für das Cover verwendet, aber man kann es natürlich auch im Web anschauen. (2) Danke an Alli, die nicht nur meine Fehler – grammatikalische und inhaltliche – korrigiert, sondern mich auch zum ernsthaften Erlernen der deutsche Sprache animiert. -------------------------------------------------------------------------------- Gegen Ende des Schuljahres wurde das Leben schlicht unerträglich. Ich hasste es, den Gang runter zu gehen und auf Michael zu treffen, der direkt durch mich hindurchsah. Ich hasste es, wenn Isabel über mich tratschte, als ob ich sie nie weinen gesehen hätte, aus Angst vor ihrer Vergangenheit und Zukunft. Ich hasste es, dass ich endlich zum ersten Mal mit meiner Mom sprechen wollte – und nicht konnte. Was konnte ich ihr sagen? Hey, Mom! Weißt du noch – dieser Junge, den du nicht ausstehen kannst? Nun, mach dir keine Sorgen, wir sehen uns nicht mehr. Er hat sich entschieden, dass es wichtiger ist, ein Alien zu sein, als mit mir zusammen zu sein. Gute Neuigkeiten, nicht wahr? Liz redete nicht mit Max. Michael redete nicht mit mir – er antwortete nicht einmal auf meine Anrufe. Ich rief ihn trotzdem an. Ich fühlte mich schwach und dumm und genauso wie all diese Frauen in den Büchern, die Oprah immer vorstellte, und die meine Mutter immer las – all diese Bücher handelten von Frauen, die viel zu sehr liebten und sich in eine selbstgebaute Gefängniszelle einsperrten. Diese Frauen waren dumm – ich weiß es. Ich schwor mir, dass ich niemals so werde, ich werde Michael keineswegs nachjagen, ich werde keineswegs etwas (ja, etwas – sagte ich mir immer) nachjagen, das mir nur Kummer bereiten würde – und trotzdem war ich immer noch dabei, ihn dazu zu bringen, mit mir zu reden. Wie auch immer, ich war mir ziemlich sicher, dass das Ganze, würde es sich in diese Richtung entwickeln, damit endet, dass ich ihn zu hassen anfing. Ich freute mich schon fast darauf. Merkwürdig war, dass Isabel und Alex noch miteinander redeten. Sie hatten nie eine Beziehung, nicht wirklich – obwohl Alex sicherlich eine wünschte – aber sie standen sich näher als je zuvor. Ich versuchte mit Alex darüber zu reden, ihn davor zu warnen, dass er verletzt werden könnte, aber ich schweifte mitten im Satz ab, weil ich merkte, dass meine Rede viel mehr nach Eifersucht als nach Besorgnis klang. Ich war eifersüchtig. In der letzten Schulwoche verbrachten Liz und ich die Mittagspausen in der Cafeteria, unfähig zu essen. Es war viel zu heiß zum Essen – die Klimaanlage funktionierte wieder nicht richtig, die Wände in meinem Klassenzimmer begannen zu schwitzen, und das fand ich ekelig und faszinierend zugleich. Es erinnerte mich an Michael. Aber zu dieser Zeit erinnerte mich alles an Michael. Es war niederschmetternd. Liz versuchte lustlos, über etwas zu reden. Ich weiß, ich sollte ihr zuhören – Liz war in einer noch schlechteren Verfassung als ich selbst – sie dachte nicht einmal mehr an ihre Noten, und ich machte mir Sorgen. Aber ich bemerkte Michael, der gerade in die Cafeteria kam, und konnte nicht mehr wegsehen. Er war allein, er sah heiß und verschwitzt aus, er war ausgesprochen wunderschön. Wahrscheinlich spürte er meinen Blick, weil er zu uns rüber sah. Ich merkte, wie ein Lächeln sich auf seinen Lippen zu formen begann und sofort wieder verschwand. Das schmerzte mehr als sein leeres Starren, denn ich wusste, der Beginn eines Lächelns bedeutete, dass er noch immer an mich dachte. Ich war gewillt, für das, was wir hatten, zu kämpfen, warum war er es nicht? „Oh, Gott. Max schaut mich an." Nicht an Michael denken. Nicht an Michael denken. Ich schüttelte den Kopf und schaute auf Liz. Es war ohne Zweifel zwecklos, an Michael zu denken. Warum quälte ich mich immer wieder? Warum dachte ich immer wieder an die kleinen Dinge, die Michael und mir passiert waren – ich wollte es nicht mehr. Ich wollte nie eines dieser Mädchen sein, an die die Psychotests in den Mädchen Zeitschriften gerichtet waren – und jetzt wurde ich trotzdem zu einer von ihnen. Liz hatte ihren Kopf geneigt und starrte mit tränengefüllten Augen entschlossen auf den Tisch. Ich schaute rüber zu Isabel und sah Max, der uns beobachtete. Seine Augen waren riesig und traurig, und eine unangenehme Erkenntnis krabbelte aus meinem Nacken die Wirbelsäule entlang. Ich fürchtete, dass ich Michael genauso ansah wie Max Liz. Ich wusste, dass ich Michael genauso ansah wie Max Liz. Ich wusste, dass Max mit Liz zu reden versuchte – er sagte ihr, er möchte es ihr erklären, er möchte mit ihr sprechen, er wüsste, dass er sie verletzt hatte, aber er sei sich auch sicher, dass sie beide es ausdiskutieren sollten. All das, was auch ich Michael sagte, oder selber von ihm hören wollte. Liz schob ihr Essen plötzlich weg und stand auf. „Ich kann's nicht", flüsterte sie, „Ich ertrage es nicht mehr zu sehen, wie er mich anschaut. Ich halt's nicht mehr aus, dass er noch immer alles 'bereden' will." Liz' Stimme wurde höher, und ich wusste, sie würde gleich zu weinen anfangen. „Lizzie, beruhige dich, wir gehen raus, reden ein wenig und alles..." Liz schüttelte den Kopf. „Ich hab' genug vom Reden. Max hat so viel zu tun – er muss so viel tun, und ich weiß, dass ich daran nicht teilhaben kann. Ich möchte einfach alles vergessen, und ich... kann's nicht..." Sie warf einen schnellen, verzweifelten Blick in Max' Richtung und rannte aus der Cafeteria. Ich seufzte und dachte daran, mein Gesicht in den Händen zu verstecken. Ich brauchte eine starke Liz, die mich aufbauen würde – und sie konnte es nicht. Ich war darin gescheitert, ihr zu helfen, über Max hinwegzukommen, das weiß ich. Ich blickte wieder rüber zu Max und bemerkte, dass Isabels Hand seinen Arm zurückhielt, um ihn daran zu erinnern, dass er Liz loslassen musste. Ich blickte zu Michael, der jetzt neben Max saß. Er aß, er neigte sich über sein Essen und schaufelte es in seinen Mund, als wäre es seine letzte Mahlzeit für eine lange Zeit. Vielleicht war sie das auch. Er schaute auf, sah mir kurz in die Augen und wandte sich ab. War ja klar. Ich blickte zurück zu Max. Ich konnte das Leid in seinen Augen sogar von meinem Platz aus sehen, und es machte mich grenzenlos wütend. Max war bekümmert. Na und? Sein Nachtrauern machte es ihr keineswegs leichter. Wenn er sie wirklich so sehr liebte, sollte er vielleicht ihren Wunsch respektieren und sie alleine lassen. Er sollte sie vielleicht einfach ihr Leben leben lassen. Plötzlich verspürte ich einen unerträglichen Drang, von allem und allen hier wegzukommen, stand auf und warf meine Büchertasche über die Schulter. Mit mir und Michael war es anders, redete ich mir ein, während ich nach Liz suchte. Wir waren überhaupt nicht wie Liz und Max. Ich rief ihn an diesem Abend an und fühlte, wie ich immer tiefer einen Pfad hinabstürzte, auf dem ich mich nur widerwillig befand. Ich rief ihn trotzdem weiterhin an ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Hey Maria Datum: 22.06. 2000 Hey Maria, Ich kann nicht schlafen und dachte mir, ich seh' mal nach Kollegen im Internet. 10 Uhr abends am Freitag, und ich bin allein mit meinem Computer. Ich hasse diese Stadt. L. ************** „Es braucht einfach Zeit. Keine Sorge. Ich weiß, du kannst es." Die letzte Bemerkung wurde von einem Seufzen eingeleitet, das verdächtig nach einem Schluchzen klang. Ich ließ den Lappen aus der Hand fallen und sah ihn auf der Theke landen. „Lizzie, wenn du mich aufmuntern willst, solltest du auch aufmunternd klingen. Okay?" Liz versteifte sich und umklammerte den Serviettenhalter, den sie gerade auffüllte. „Maria..." „Es tut mir leid. Wirklich. Es ist nur", ich zeigte durch das CrashDown, „viel schwieriger, als ich dachte, okay? Ich mein', warum müssen sie hier herkommen? Das ist doch nicht das einzige Lokal in der Stadt." „Ich weiß", antwortet sie vorsichtig, „Ich frage mich dasselbe. Wir sind erst seit einer Woche aus der Schule, aber es fühlt sich wie hundert an. Und Max kommt jeden Tag hier her..." Ich nickte. Seit Schulende war Michael zweimal im CrashDown gewesen, als ich auch da war – er hatte sich von Mr. Parker in die Frühschicht versetzen lassen. Ich arbeitete selten vormittags, weil das Trinkgeld in dieser Zeit spärlich war, und weil meine Mutter meine Hilfe im Geschäft brauchte. Also sah ich Michael kaum, und wenn doch, ignorierte er mich. Aber Max und Isabel kamen immer hier her – manchmal auch mit Tess – und jedesmal wurden wir daran erinnert, was hätte sein können. Jedesmal dachte ich ‚Michael'. Ich rief ihn noch immer an. Irgendwie konnte ich nicht aufhören. Ich erzählte Liz nicht davon – ein Gemisch aus Scham und Angst hielt mich ab. Liz redete überhaupt nicht mit Max, und ich beneidete ihre Stärke. Aber anscheinend fühlte sie sich gar nicht so stark. Ihre aufmunternden Worte – mittlerweile handelte jedes unserer Gespräche davon, dass wir tapfer sein und alles vergessen müssten – klangen nicht besonders überzeugend. „Da ist er." Liz schubste den Serviettenhalter die Theke entlang, und er fiel zu Boden. „Er ist wieder hier. Oh Gott, ich kann ihn nicht bedienen. Maria?" „Geh nach hinten", sagte ich, als ich Liz' weißes Gesicht sah. Wie sollten wir den ganzen Sommer überstehen? Ich ging zu Max' Tisch. „Max." „Maria – wie geht's Liz?" „Was denkst du wohl?" Ich zwang mich tief einzuatmen. „Max, es ist wirklich schwer für sie. Warum kommst du hier her?" Max sah runter auf den Tisch und dann zurück zu mir. „Warum rufst du Michael an?" Max wusste es? Michael hatte es ihm erzählt. Oh Gott – das schmerzte fast so sehr wie sein Schweigen mir gegenüber. Ich konnte beinahe hören, wie er Max um Rat bat: „Wie kann ich sie davon abhalten, mich immer anzurufen?" „Ich... ich wollte nur... nur mit ihr sprechen", brachte Max stockend hervor, „Ich wollte ihr nur sagen, dass ich sie verstehe. Ich wollte bloß sagen, dass es mir leid tut." „Tut es nicht." Meine Stimme war plötzlich lauter als beabsichtigt, aber Max' Worten zuzuhören ließ mich an all die Lügen denken, die ich mir über Michael und mich ausgedacht hatte, und das machte mich wütend, „Du willst sie zurück. Du willst, dass sie dir verzeiht. Du willst, dass sie dich liebt – egal, was auf euch zukommen wird. Du willst alles." Er schaute mich an, aber ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Das, was er von Liz wollte, war genau dasselbe, was ich von Michael wollte. Liebe – egal, was geschehen mochte. „Du hast recht", sagte er endlich, mit tiefer und niedergeschlagener Stimme. „Ich weiß, ich tue ihr weh. Aber ich kann sie nicht gehen lassen. Niemand versteht das." „Geh weg", sagte ich, „Geh weg, lass sie allein und lass es endlich verheilen." Ich sah auf und traf seine Augen – ihr Ausdruck war unleserlich, und ich hasste ihn dafür, dass er nicht darauf hinwies, wie sehr mein eigenes Benehmen seinem ähnelte, dass meine Forderung, Liz alleine zu lassen, der höchste Grad an Heuchelei war – und er stand auf und verließ das CrashDown. Ich kehrte zur Theke zurück und ließ kurz meine Hände darauf ruhen. Ich verstand es. Ich verstand ganz genau, was Max meinte, und ich verstand ganz genau, was er tat. Ich war genauso mitleiderregend wie er. Ich war genauso grausam wie er – obwohl ich meine Wirkung auf Michael vielleicht überschätzte. Ich blickte rüber zum Telefon und schloss kurz die Augen. Dann ging ich Liz suchen. Ich hatte noch jede Menge Zeit, Michael anzurufen. Liz sagte mir, dass sie den Sommer nicht überstehen könne, nicht überstehen würde. Wir aßen Eis, weinten, und als ich nach Hause ging, dachte ich, dass sie sich besser fühlte. Aber das war falsch. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Tut mir leid Datum: 24.06. 2000 Maria... Es tut mir leid. Ehrlich. Ich hoffe, du hast meinen Zettel gesehen, aber wenn doch nicht… Ich habe dir gestern nicht gesagt, dass ich wegfahren würde, weil – weil ich wusste, dass du dich ärgern würdest. Bloß… ich weiß, wir haben darüber geredet, dass wir stark bleiben müssen etc., und ich schwöre dir, ich habe es ehrlich gemeint. In der Schule war es auch anders – aber, Maria, ihn hier im Café zu sehen – gerade jetzt, im Sommer. Letzten Sommer hat alles angefangen (mein Gott, ich kann kaum glauben, dass es nur ein Jahr her ist), und ich habe darüber nachgedacht und ich… Ich kann nicht mehr in Roswell bleiben. Ich ruf' dich heute Abend an. Auch wenn du wütend bist, rede mit mir, bitte. Ok? ************** „Was? Sie ist weg? In Florida? Wann? Warum?" Mr. Parker lächelte mich an. „Du kennst doch Lizzie. Sie hat sich gestern nachmittag dazu entschieden, ein Flugticket online gekauft und sich heute früh von ihrer Mutter zum Flughafen fahren lassen. Sie wollte, dass ich dir das gebe." Er zeigte mir einen Zettel. Ich nahm ihn und musste mich mit aller Strenge davon abhalten, ihn in Millionen Stücke zu zerreißen und über den Boden zu verstreuen. Liz war weg! In Florida! Über den Sommer! Über den ganzen verdammten Sommer! Ich wünschte, ich könnte auch nach Florida verschwinden. Wie sollte ich es schaffen, Michael zu vergessen, wenn Liz mir nicht half? Sie war zwar keine große Hilfe, aber immerhin. Ich presste die Zähne zusammen und zwang ein Lächeln auf mein Gesicht. „Danke." Der Tag war endlos und wurde noch schlimmer dadurch, dass Michael früher zur Arbeit kam – noch bevor ich ging. Er sagte „Hallo" und ignorierte mich danach. Ich versuchte ihn zu kränken, ich versuchte ihn zu ärgern – nichts. Wie schaffte er es, mich so einfach zu ignorieren? Als ob er von Liz unterrichtet worden war. Ich hasste sie beide. Aber ich vermisste sie beide mehr, als ich sie hassen konnte, und dafür hasste ich mich selbst. Ich schrieb die Bestellung von Tisch 7 auf, brachte die Rechnung zu Tisch 5 und starrte auf Michael. Er ignorierte mich weiterhin. Als die Uhr auf 4 stand, ging ich ins Hinterzimmer, schmiss meine Schürze in den Schank und ging raus. Verdammt seien die Versuche, mit Michael zu reden. Das war doch zwecklos. Als ich den Parkplatz überquerte, sah ich den Jeep in der Nähe stehen und kniff die Augen zusammen, um gegen die Sonne den Fahrer zu erkennen. Dunkle Haare. Max. Sehr gut. Ich musste Dampf ablassen. Ich ging rüber zu ihm. „Liz ist nicht hier." Ich sah sein Gesicht kaum, weil es draußen zu hell war, aber ich denke, er runzelte die Stirn. „Und wo ist sie?" „In Florida." Das zu sagen tat gut. Ha, ha, ha , Max, dachte ich. Ich kann Michael nicht kriegen, und du nicht Liz. Sehr gut. „Florida?", fragte er und seine Stimme brach. „Florida?" Sein Kopf fiel nach vorne und mein Ärger wich. Ich war doch genau dort, wo Max war – und das war nicht seine Schuld. Obwohl ich es mir wünschte. „Ja... tut mir leid. Ich wusste es auch nicht, bis sie bereits weg war." Max umarmte das Lenkrad. „Sie wird mir nie verzeihen, nicht wahr?" „Es geht doch nicht ums ‚Verzeihen', Max." Er seufzte leicht. „Ich weiß. Aber es ist einfacher sich zu belügen, weißt du?" Ich sah zurück zum CrashDown. Es war wesentlich einfacher sich vorzumachen, es ginge mir bloß darum, dass Michael sich selbst verzieh. Es war wesentlich einfacher sich vorzumachen, dass wir uns nur zerstritten hatten und uns später versöhnen konnten. Es war viel einfacher sich vorzumachen, dass er mich nicht weggeschmissen hatte, als er glaubte, dass Isabel ihm die Familie geben würde, die er sich immer wünschte. „Ja. Ich weiß." Max ließ die Hände vom Lenkrad fallen und schaute zu mir. „Ich schätze ja. Weißt du, es ist nicht so, dass Michael nichts an dir liegt..." „Es ist bloß so, dass er das nicht will." Wir sahen uns in totalem Verständnis an. Es war sogar irgendwie angenehm. Es war der erste, wirklich angenehme Moment in dem ganzen beschissenen Sommer, und das war echt jämmerlich. Plötzlich wollte ich runter vom Parkplatz. Ich wollte nach Hause. Die Sonnenstrahlen erschlugen uns von oben, und ich bewegte mich etwas zur Seite, als ich meine Absätze in den Asphalt sinken fühlte. „Ich muss... hm..." Max nickte. „Ja. Ich muss gehen." Ich ging zu meinem Auto und setzte mich hin. Während ich den Motor anließ, sah ich Max von dem CrashDown-Parkplatz runterfahren. Er winkte mir. Ich winkte zurück. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Subjekt: Kontrollanruf :-) Datum: 07.07. 2000 Ich vermisse dich sehr. Tante Helen ist sehr nett zu mir, und es ist irgendwie… ich weiß nicht, irgendwie beruhigend, hier aufzuwachen. Vielleicht, weil der Ozean in der Nähe ist. Ich weiß nicht. Aber mir geht's besser. Viel besser. Ich bin froh, dass es dir gut geht. Ich war besorgt um dich vor meiner Abreise. Ich weiß, dass mit Michael immer alles verwirrend war. Aber ich bin überzeugt, du machst schon das Richtige. Ich meine, du solltest deinem Herzen folgen. Trotz der ganzen Sache mit Max, kann ich nicht alles davon bereuen, weißt du? Ich glaube, du bist mutiger als ich. Manchmal fühle ich mich schuldig, weil ich mich hier verstecke – genau das ich mache ich. Ich verstecke mich. Ich belüge mich. Es wird doch besser, oder? Mit der Zeit? ************** Ich sammelte die Dekorationen zum 4. Juli ein. Ein beschissener Job, aber immer noch besser, als die Busladung an Touristen zu bedienen, die gerade reingekommen war. Außerdem war der 4.Juli längst vorbei, aber Mr. Parker vergaß immer, die Dekorationen abzunehmen. Er war um Lizzie besorgt und versuchte noch dazu, das Geschäft trotz mangelnder Hilfskräfte am Laufen zu halten. Zudem, weil ich die Dekorationen abnahm, würde ich Pluspunkte bekommen und vielleicht endlich einen Samstag abend frei bekommen. Nicht, dass ich eine Verabredung oder so was hätte. Aber auf jeden Fall besser, als die Leute bei ihren Verabredungen zu bedienen. Ich seufzte, legte meine Hände aufs Kreuz und massierte den Rücken ein wenig. Diese Pappfahnen-Dinger, die auf allen Wänden angebracht waren, sahen okay aus – für eine Restaurant-Dekoration – aber es war eine Qual, sie runter zu nehmen, weil Mr. Parker sie mit zig Millionen Nägeln befestigt hatte. Es war offensichtlich, von wem Liz ihr zwanghaftes Benehmen geerbt hatte. Und sie war nicht einmal hier, um sie dafür hänseln zu können. Das rief einen noch tieferen Seufzer hervor. „Hey, Maria." Ich schaute rüber und sah Max in einer Nische. Er war allein und trank Sodawasser. „Ich hab' nichts von Liz gehört", sagte ich ihm. Das war gelogen, und wir beide wussten es, aber es war unsere Gesprächsart. Er kam fast täglich ins CrashDown, bestellte Sodawasser und fragte, ob ich etwas von Liz wüsste. Ich antwortete „Nichts", und er sagte „Okay", trank sein Soda aus und ging. „Brauchst du Hilfe?" Ich starrte gerade die Wand an und errechnete, wie lange ich noch brauchen würde, um den Rest der Fahnen abzunehmen, so dass Max' Worte mich nicht sofort erreichten. „Was?" „Brauchst du Hilfe?" Ich schaute ihn eine Weile mit leeren Augen an. Es sollte doch nach Liz fragen und dann weggehen. Das war unser Verhaltensmuster. Warum überraschten mich immer alle? Ich war doch diejenige, die andere überraschen sollte. Was ist mit dem Mädchen geschehen, das ich einmal war? Meine Mutter hatte immer gesagt, ich sei „voller Überraschungen". Jetzt sagte sie nur, dass ich müde aussehe. Fein, dachte ich. Ich werde es Max schon zeigen. „Sicher." Er stand auf und lächelte. „Ich nehme dann diese", er zeigte auf die Wand gegenüber. „Okay." Wie überraschend. Mit Max' Hilfe räumte ich den Rest der Dekorationen in weniger als einer Viertelstunde weg. Ich ging ins Hinterzimmer und legte sie in einen Kasten, den Liz letztes Jahr für sie gemacht hatte. Davor wurden sie in einem Topf unter dem Waschbecken aufbewahrt. Ich drehte mich um, und Max stand hinter mir, die Händen voll mit Dekorationen. Ich nahm den Kasten runter, und wir füllten ihn mit den dünnen Fahnen. Dann schloss ich ihn ab und stellte den Kasten zurück auf den Schrank. „Gut", sagte ich (und was soll ich jetzt machen? Ich habe mit Max eigentlich nie über etwas oder jemanden gesprochen – außer über Liz). „Danke." Max nickte, „Kein Problem." Er drehte sich um und ging zurück ins Restaurant. Ich seufzte. Michael hatte mir immer geholfen, wenn er etwas von mir wollte. Ich dachte, es würde mich schon nicht umbringen, Max zu helfen. „Max... Liz ist..." Er schaute zurück und lächelte. „Ich hatte mir bloß gedacht, dass du Hilfe gebrauchen könntest. Mir ist schon klar, Liz will nicht, dass ich weiß, wo sie ist." „Oh – gut, in Ordnung dann." Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Er schaute auf den Boden. „Ich... uhm... ich habe mit Michael darüber geredet, was mit euch los ist." „Und?" Ich wußte, daß ich ihn angefahren hatte, aber ich war nicht bereit, weiter schlechte Nachrichten zu vernehmen. Ich wusste bereits, dass Michael nicht mit mir reden wollte. „Das ist beschissen, oder?" „Was?" Max errötete. Ich hätte gelacht, wenn unser „Gespräch" mich nicht aus der Fassung gebracht hätte. Wie gesagt, es war das erste Mal, dass Max und ich miteinander redeten – vorher war Liz unser einziges Thema, sogar noch vor ihrer Trennung. „Ich mein'... jemanden zu erreichen versuchen, der nicht gefunden werden will, weißt du? Ich... nur... Michael wird sich umbesinnen. Glaube ich." Und was sollte ich jetzt machen? Etwa salutieren und sagen, ‚Danke für die Aufmunterung, furchtloser Anführer'? Auf gar keinen Fall. Er trat von einem Fuß auf den anderen, und ich musste wegen seiner Turnschuhe lächeln. Michael trug immer Boots – schwere, dunkle Boots. Boots sind ernste Schuhe. Nicht aber Turnschuhe. Und in diesem Moment sahen Max' Turnschuhe – ich weiß auch nicht – irgendwie belustigend aus. Sie waren nicht besonders Anführer mäßig. Vielleicht wurde mir in diesem Moment klar, dass an Max mehr dran war, als ich vorher gedacht hatte. „Sorry", sagte er endlich, „Ich nehme an, das hat nicht sehr geholfen." „Schon in Ordnung. Ich mein', du hast wenigstens versucht. Das war die beste Aufmunterung, die ich seit einer Weile zu hören bekommen habe." Max lächelte. „Isabel versucht mich wenigstens vierhundert Mal am Tag aufzumuntern. Ich hab' mich vermutlich angesteckt." Ich stellte mir Isabels Aufmunterungen lebhaft vor. Ich fing an zu lachen, und nach einem Moment fing auch Max zu lachen an. Es war das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass ich lachte. Es war schön. „Ich muss am Nachmittag nach Artesia fahren", erzählte ich Max, „Liz hat gesagt, sie würde mich auf dem Handy meiner Mom anrufen. Willst du nicht mitkommen?" Nachdem ich das gefragt hatte, dachte ich, dass es womöglich falsch war. Dass ich womöglich die Dinge noch verschlimmern würde. Das hätte sicherlich zu meiner sich schnell entwickelnden, typischen Vorgehensweise gepasst. Aber Max Augen leuchteten auf, und ich wusste, ich tat das Richtige. Und das fühlte sich auch ziemlich gut an. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Alles okay? Datum: 08.07.2000 'tschuldige, dass ich dich gestern nicht angerufen habe. Ich wollte es, ehrlich – aber Tante Helen wollte zum Essen ausgehen, und als wir zurück waren, bin ich am Strand spazieren gegangen und habe das Zeitgefühl verloren. Ich habe versucht, dich noch anzurufen, aber es war sehr spät, und ich wollte dich nicht aufwecken. Ich nehme an, du bist gut aus Artesia nach Hause gekommen. Ich hoffe, die Reise war in Ordnung. Erinnerst du dich, als wir zusammen dahin fuhren, um Bestellung abzugeben, und dann auf der Heimreise verlorengingen? Du hattest befürchtet, dass wir für immer in der Wüste steckenbleiben würden – Gott, hast du mich erschreckt! Ich dachte schon, wir würden nie nach Hause kommen. Ich träume manchmal von der Wüste. Sie erschreckt mich. Ich bin es so leid, erschrocken zu sein. ************** „Ich nehme an, sie wird nicht anrufen." Ich schaute auf Max, der aus dem Fenster starrte. „Tut mir leid. Sie sagte, sie..." „Macht nichts. Wirklich, danke für den Versuch. Es bedeutet... bedeutet mir viel." Es herrschte wieder Stille zwischen uns, aber sie störte nicht. Max redete mehr als Michael – ein Berg redete mehr als Michael – aber er redete nicht viel. Wenn ich mit Michael zusammen war, beeilte ich mich immer, die Pausen zu füllen, aber bei Max störten sie nicht. Sie fühlten sich nicht wie Versäumnisse an. Sie fühlten sich wie Atempausen an. Mein Bauch knurrte, und Max lachte. „Was war denn das?" „Was? Oh. Ich bin hungrig." „Willst du anhalten und etwas essen?" Ich schaute wieder zu ihm. Er sah müde und traurig aus, und ich dachte, warum denn nicht? Während des Essens könnten wir wenigstens darüber reden, wie scheußlich es uns beiden ging. Wen sollte das stören? Es würde fast so sein wie mit Lizzie. Irgendwie. „Klar." Also bog ich ab, und wir fanden ein „Loch-in-der-Wand-Rasthaus" eine Stunde von der Stadt entfernt. Verglichen mit der uns bedienenden Kellnerin war Agnes die Absolventin einer Gutes-Benehmen-Schule, aber das Essen war gut. Wenn ich mit Michael zusammen war, bestellte ich immer etwas, was leicht zu essen war, weil ich mich nicht bekleckern und am Ende wie ein Schwein aussehen wollte. Bei Max war es mir egal, so bestellte ich einen Salat und kümmerte mich nicht darum, dass die großen Blätter, die ich in mich hineinstopfte, aus meinem Mund hervorlugten und mich wie ein verrücktes Kaninchen aussehen ließen. Wir haben zwei Stunden lang geredet. Die Kellnerin kam zurück, sah uns missbilligend an und fragte, ob wir noch etwas wollten, aber wir ignorierten sie. Nun, ich ignorierte sie. Max dankte ihr sehr höflich, sagte, es sei alles in Ordnung, aber es sei nett von ihr zu fragen. Wir sprachen von allem und nichts. Wir sprachen vom Sommer – er war heiß und trocken, Regen fiel selten – und wir sprachen davon, wie das Gras im Park neben der Bücherei gestorben war, und wie lustig es war, wenn die Gartenpfleger fürsorglich die Schilder „Grasfläche betreten verboten" aufstellten. Wir sprachen von der Schule – wer von den Lehrern schwierig und wer im nächsten Jahr leicht sein würde. Wir sprachen vom Urlaub – Max und seine Familie waren in Dallas gewesen (Max sagte, es war „interessant"), und ich erzählte ihm, dass mein einziger Urlaub ein eintägiger Ausflug nach Albuquerque gewesen sei, als ich meine Mom zu einem ihrer Seminare begleitet hatte. Wir sprachen nicht von Michael. Wir sprachen nicht von Liz. Wir erwähnten weder die Aliens, noch die Bestimmung oder irgendetwas damit verbundenes. Ich plauderte gerade davon, dass ich „Chicken Run" anschauen wollte, aber niemanden fand, der mit mir gehen würde, als er sagte, „Ich werde mitkommen. Was machst du morgen?" Ich würde gerne sagen, dass in diesem Moment eine lange Pause auftrat, dass im ganzen Saal Stille ausbrach, dass eine dünne Stimme in meinem Hinterkopf etwas geistreiches oder wenigstens vernünftiges sagte. Ich würde das gerne sagen, aber es wäre eine große dicke Lüge. Keine Stille, keine Pause, keine vernünftige Stimme, gar nichts. Ich sagte bloß „Nichts. Treffen wir uns beim Kinotheater um eins?", und er lächelte und antwortete, „Geht klar." Dann fuhren wir zurück nach Roswell, und alles war fein. Außer vielleicht – ich war ein bisschen glücklicher. Und vielleicht war er auch ein bisschen glücklicher. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Wie geht's? Datum: 11.07. 2000 Hey, Wo findest du bloß immer diese E-Karten? Ich habe angefangen zu lachen, als ich die sah, und konnte nicht mehr aufhören. Du bist so lustig. Und ja, ich verzeihe dir, dass du mich gestern nicht angerufen hast. ;) Deine Mom sagt, dass du ihr im Laden hilfst. Ich wette, du bleibst länger und mischst dir neue Aromaöle. Erinnerst du dich an diese Mischung, die du mir schon im Frühling gegeben hast? "Notfall-Tropfen"? Ich könnte das gebrauchen – Tante Helen will ihre Küche renovieren. Rate mal, wer ihr dabei helfen wird? Werden die Wunder nie aufhören? Ich, Tante Helen und gelbe Farbe. Arghhh. ************** Der Film war gut. Max war bereits da, als ich zum Theater kam, und verschwand, als ich meine Karte kaufte. Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich bin einmal mit Michael ins Kino gegangen, und er hat nicht für meine Karte bezahlt, hat sich beinahe alleine hingesetzt (Gott, das ist halt Michael) und hat sich davongemacht, sobald wir nach dem Film rauskamen. Meine Lippen waren geschwollen und schmerzten – in angenehmer Weise – von seinen Küssen, und als er endlich zu mir zurückkehrte (nachdem ich 10 Minuten vor dem Theater gewartet hatte), war ich bereit, ihn anzuschreien, aber dann sah ich die Spuren meines Lippenstiftes auf seinen Lippen. Etwas in mir schmolz, und ich sagte letztendlich nichts. Wenn es um Michael geht, bin ich nie das Mädchen, das ich sein möchte. Wie auch immer, die Sache ist, dass ich mir nichts dabei dachte, als Max verschwand. Soweit ich wusste, war es eine Alien-Sache. Oder vielleicht lag es bloß an mir. Ich war mir sicher, dass Max Liz nicht stehenlassen würde, aber ich war nicht Liz. Die Typen wollten sie immer beschützen und ihr Kätzchen schenken. Von mir wollten sie gewöhnlich nur das Auto ausleihen. Also bezahlte ich meine Karte und ging rein. Ich übergab die Karte einem gelangweilten Kontrolleur und schaute mich um. „Hey." Ich hörte auf, das Poster eines angekündigten Films zu prüfen, sah auf und war total verblüfft. Max stand neben mir und hielt etwas, das nach einer riesigen Tüte Popcorn aussah, und einem Becher Soda, der so groß war, dass er einen Henkel hatte. Einen Henkel! „Was ist denn das?" Er sah mich an, als wäre ich geistig behindert. „Knabberzeug. Weißt du, um es während des Films zu essen. Sorry, dass es so lange gedauert hat – ich dachte, ich schaffe es, während du deine Karte kaufst. Wartest du schon lange?" „Uhh... nein." Wir gingen in den Saal, und ich hoffte, dass ich nicht völlig überwältigt aussah. Überwältigt vom „Sorry" und vom Popcorn und von dem Soda – für uns beide? Mein Gott, kein Wunder, dass Liz ihn so mochte. Er war so nett – so großzügig. Ich hatte so was von Max vermutet, natürlich – er war – er ist – ein netter Kerl, aber in dem Moment fühlte ich mich schuldig – für etwas, was zu der Zeit abstrakt erschien. Ich verputzte das meiste Popcorn, aber Max nahm es mir nicht übel. Er sagte auch nicht, dass ich während der Vorschauen still sein sollte – was Liz immer tat, und auch Michael, als ich dieses einzige Mal mit ihm im Kino war. Wie es sich herausstellte, mochte Max es, die kommende Filme zu kommentieren. Ob sie gut sein würden? In welchem Film diese Schauspieler schon gewesen waren? So was in der Art. Als der Film startete, waren wir still. Wie lachten – der Film war ziemlich gut – aber wir sprachen nicht viel. Danach gingen wir raus zu unseren Autos, und er sagte, er habe sich gut amüsiert, und bedankte sich dafür, dass ich mit ihm gekommen war. Ich bedankte mich für das Popcorn und das Soda, und wir verabschiedeten uns. Ich sah ihn danach einige Tage nicht, aber eines Nachmittages gegen Ende der Woche kam er ins CrashDown und bestellte sein übliches Soda. Ich brachte das Glas zu ihm und bereitete mich auf unsere gewöhnliche Liz-Konversation vor. „Hast du was von Liz gehört?" „Nichts", lächelte ich, um die Lüge zu verschönern. „Okay. Wenn du mit ihr sprichst..." „Dann sage ich, dass du nach ihr gefragt hast." Ich ging zurück zur Theke. Mr. Parker steckte den Kopf aus dem Hinterzimmer. „Maria, deine Mutter kommt mit diesen Alien-Cocktailstäbchen, die ich bestellt habe. Kannst du ihr sagen, dass ich sofort zurück bin? Jose meint, die Friteuse würde wieder spinnen, ich möchte mir das anschauen." Ich zuckte mit den Schultern, und Mr. Parker verschwand im Hinterraum. Na super. Ich mied meine Mutter – sie suchte jemanden, der ihr helfen würde, die Aromaöle zusammenzumischen, und ich hasse sie zu mischen – obwohl ich sie riechen mag. Man musste dabei sehr genau sein, und ich bin nicht gut darin. Außerdem zahlte Mom mir nie etwas dafür – sie sagt, ich könne mir Öle auswählen. Aber ich habe bereits alle Öle, die ich mochte. Das ist der einzige Vorteil daran, mit jemandem zu leben, der einen Aromaöl-Laden besitzt. Dieses Treffen konnte ich leider nicht vermeiden. Sie kam ins CrashDown, die Tür mit ihrer Hüfte aufschlagend. „Maria! Super!", sagte sie lächelnd, während sie die Kiste mit Cocktailstäbchen auf die Theke setzte. „Ich habe Nachricht von Christi – du kennst sie doch – sie hat dieses transzendentale Wellness-Zentrum drüben in Greenfield. Egal, rate mal? Sie braucht 10 Ölpackungen bis morgen. Morgen! Und ich habe heute abend Yoga-Unterricht, also zählte ich auf dich." Wie typisch für meine Mutter zu vergessen, dass ich die Telefon-Nachrichten von Christi entgegennahm. Sie schrieb jeden Schritt in ihrem Leben auf Post-It Zettel und vergaß trotzdem alles. „Klar, werde ich machen." Ich konnte schwer ‚nein' sagen – ich hatte keine Pläne, und mir viel keine Begründung ein. „Ich komme nach der Arbeit rüber, okay?" Außerdem, wenn meine Mutter sagt, dass sie auf mich zählt, kann ich ihr nichts abschlagen. Es ist schön, wenn jemand auf dich zählt. „Danke, Liebes!" Sie umarmte und küsste mich, redete einige Minuten mit Mr. Parker und wirbelte in einer Wolke aus Energie und Jasmin-Aroma davon. Mr. Parker ging mit der Kiste nach hinten, und ich begann, die Tische zu putzen, weil Agnes schon wieder ihre Rauchpause absolvierte. „Hey." Ich schaute von einem getrockneten Käsefleck auf, den ich von Tisch 3 abrubbelte. Max machte Knoten in seinen Trinkhalm und sah mich nicht an. „Was ist los?" „Du machst heute abend etwas für deine Mutter?" „Das ist der Plan." „Oh." Ich seufzte und begann, den Käsefleck mit den Nägeln abzukratzen. Er war fest eingetrocknet. „Verdammt!" „Maria?" „Was?" Dabei sprang der Käsefleck ab, und ich taumelte, weil meine Finger keinen Halt mehr hatten. „Brauchst du Hilfe?" Ich sah wieder Max an. Sein Trinkhalm war in zwei sorgfältige Knoten gebunden, und er schob sein Glas auf dem Tisch hin und her. „Warum? Liz wird heute nicht anrufen." Er sah mich kurz an und dann wieder zurück auf den Tisch. „Nicht deshalb... bloß... ich dachte bloß... es wäre schön, mit jemandem zu reden, der... du weißt schon..." Oh. Daran hatte ich nicht gedacht. Max war einsam. Er hatte nicht viele Freunde – durfte er nicht. Und ich konnte mir vorstellen, dass Michael, Isabel und Tess nur darüber sprechen wollten, was es bedeutete, ein Alien zu sein. Es schien, als wäre Max der Einzige, der es ehrlich genoss, ein Mensch zu sein. Liz redete nicht mehr mit ihm, und ich konnte mir gut vorstellen, wie es für ihn war. Ich rief Michael noch immer täglich an, obwohl ich nicht jedesmal eine Nachricht hinterließ. Ich dachte, wenn ich keine Nachrichten hinterließe, würde er vielleicht um mich besorgt sein und zurückrufen. Überflüssig zu erwähnen, dass mein Plan nicht funktionierte. „Sicher", antwortete ich, „Du kannst mir helfen. Kommst du um sieben zum Laden? Weißt du, wo er ist?" Er wusste es, und ich sagte, dass ich ihn dort treffe. Ich verspätete mich – Michael kam zu seiner Abendschicht, als ich gerade weggehen wollte, und ich verbrachte weitere 10 Minuten mit dem Versuch, ihn zum Reden zu bringen – als ich zum Laden kam, wartete Max bereits. Wir gingen rein, und ich nahm ihn mit ins Hinterzimmer. Er beobachtete mich, während ich die kleinen Ampullen und Fläschchen und Messgeräte runter nahm. Eigentlich war er ziemlich hilfreich. Er wog Öle, er klebte Zettel auf die Fläschchen, und gegen neun Uhr holte er sogar Milchshakes für uns beide. Nachdem alle Fläschchen gefüllt, beschriftet und in Kästen gelegt waren, begann ich aufzuräumen. Er saß an Moms Tisch und trug die Inhalte der Kisten in Moms Inventarbuch ein. „Hey", sagte er, „Lass mich das machen." Ich überließ es ihm, das Geschirr aufzuräumen, und stellte derweilen die restlichen Öle zurück in den Schrank. Er kam rüber und half mir den Schrank zuzusperren – Mom bewahrt alle Öle in einem Holzschrank auf (sie meint, Metall würde auf Öle schädlich wirken), und die Türen schlossen nicht richtig, so dass man sie fest treten oder stoßen musste. Ich steckte die Haare hinter die Ohren. Ich ließ sie wachsen, und sie hatten diese schreckliche Länge – weder lang noch kurz, und man konnte damit nichts anfangen. Meine Hände rochen gemischt – nach Lavendel, Zitrone, Minze und allen anderen Ölen, die ich berührt hatte. „Ich muss mir die Hände waschen", sagte ich zu Max, „Ich denke, ich habe beruhigende und aufmunternde Öle zusammengemischt. Das kann ja heiter werden." Er lächelte mir zu. „Ich rieche es. Es gefällt mir sogar." Ich lachte. „Ehrlich? Das ist wahrscheinlich etwas Alien-mäßiges. Aber glaube mir, die Farben und Auras dieser Öle... sollten besser nicht vermischt werden." Er sah für einen Moment stutzig aus und lächelte dann wieder „Bist du sicher?" Und dann führte er seine Hände über meine. Ich kann nicht erklären, was danach geschah. Meine Hände wurden warm – aber nicht heiß – bloß ein bisschen kribbelig, und danach leuchtete meine Haut in verschiedenen Farben auf. Ich konnte Purpur sehen - dort, wo das Lavendel-Aroma am stärksten war, und das Gelb des Zitronen-Aromas, und das Grün der Minze – als würden Regenbögen aus meinen Handflächen aufsteigen. Er war wunderschön. Ich konnte fühlen, wie ein riesiges Lächeln sich auf meinem Gesicht bildete und sagte „Wow". Wir sahen uns eine Sekunde lang durch die farbigen Lichter an, die rund um uns tanzten, und dann senkte er die Hände und das Leuchten erlosch. „Siehst du, sie passen ziemlich gut zusammen." Ich lächelte ihm zu. „Ja, tun sie. Hast du deine Kräfte trainiert oder so?" „Ja. Tess, Michael, Isabel und ich haben geübt. Sehr viel. Tess meint, wir müssten unser Potential entwickeln." Das Wort ‚Potential' hatte einen sarkastischen Unterton. „Tess bleibt noch immer bei der ganzen Bestimmungs-Sache?" Er nickte. „Ich verstehe schon, was sie sagt – ehrlich. Ich verstehe, dass viel mehr auf dem Spiel steht, als mein Leben hier. Ich verstehe, dass die Dinge sich geändert haben. Ich meine, ich bin nicht mehr die Person, die ich letztes Jahr war. Aber ich glaube nicht, dass ich schon bereit bin so zu sein, wie Tess mich sehen will. Ich glaube nicht, dass ich überhaupt so sein kann, wie sie mich sehen will. Ich möchte einfach Max Evans sein – nur noch ein wenig länger. Ist das schlimm?" „Nein. Es klingt völlig verständlich. Weißt du, was du brauchst?", lächelte ich in dem Versuch, die Stimmung zu heben, „Eine Flasche von Notfalltropfen. Du gibst ein paar Tropfen unter die Zunge, und es klärt deinen Kopf. Ich denke, wir haben hier irgendwo einige." Er lachte. „Was?", fragte ich. „Glaubst du etwa nicht an die Kräfte von Aromaölen? Sie können helfen. Gut, manchmal. Gut, nicht oft, aber immerhin..." „Das ist es nicht", antwortete er lächelnd. „Was dann?" „Maria, wenn ich daran glauben soll, dass ich ein Mensch-Alien-Hybrid bin, der auf die Erde geschickt wurde, um seinen Heimatplaneten zu retten, fällt es mir gar nicht schwer zu glauben, dass Aromaöle riechen oder Tropfen schlucken die Laune verbessern kann. Ich dachte nur, dass der Name komisch ist. Notfalltropfen. Ich glaube nicht, dass Tess sich freuen würde, wenn ich so was in ihrer Nähe schnuppere." Ich fing an zu lachen. Tess würde es bestimmt nicht gefallen. Und so wie Max' seine Notlage beschrieb, wirkte sie lächerlich. Total lächerlich. Nach einer Weile fing auch er an zu lachen. „'tschuldige", sagte ich, „Es ist nur, wie du es beschrieben hast. Ich mein', wenn man darüber nachdenkt, ist die ganze Sache verrückt." Er lächelte. „Es ist verrückt, wirklich verrückt. Danke." „Wofür?" „Fürs Lachen. Ich hab's satt, alles ernst zu nehmen. Weißt du, dass ich außer unserem Kinobesuch den ganzen Sommer nichts zu lachen gehabt habe?" „Weißt du was?", sagte ich, „Das Gleiche gilt für mich." Er grinste. „Willst du morgen was unternehmen? Bowlen gehen, vielleicht?" Ich fing wieder an zu lachen. Ich war seit Jahren nicht beim Bowlen gewesen – Lizzie und ich sind manchmal bowlen gegangen, als wir auf der Junior High waren, weil Doug Sohn dort am Wochenende herumhing. Es klang normal. Es klang lustig. „Klar, gehen wir bowlen." ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Grüße aus der Ferne Datum: 18.07.2000 Sorry – ich hatte einige Tage keine Netz-Verbindung. Nachdem wir die Küche beendet hatten, wollte Tante Hellen für ein paar Tage nach Miami. Ich wollte meine Mails in einem Internet-Café anschauen, aber die Verbindung war sooooooooo langsam. Und anrufen wollte ich auch nicht, weil ich die Telefonkarte benutzen müsste, und Dad ausflippen würde. Ich darf sie nur für Notrufe einsetzen (seufz). Egal, genug davon! Was machst du? Ich versuche, dich heute abend zu erreichen. ************** So gingen wir bowlen. Mein Stand war 87 und Max' 93. Wir aßen fettige Pommes, schossen unsere Kugeln versehentlich quer über die benachbarten Bahnen, und machten uns über unsere geliehenen Schuhe lustig. So viel habe ich seit Monaten nicht mehr gelacht. Ein paar Tage später kam er zu mir nach Hause, wir schauten uns ein Video an und aßen Eiskrem. Noch ein paar Tage später gingen wir eine Pizza essen. Und ehe es mir bewusst wurde, unternahmen wir jeden Tag etwas zusammen. Manchmal gingen wir aus, manchmal fuhren wir einfach herum und redeten stundenlang. So was habe ich noch nie mit einem Jungen getan, und ich habe Max ziemlich gut kennengelernt. Ich wusste, dass er immer mehr über seine Alien-Seite von Tess erfuhr. Ich wusste, dass er viele Arten von Kräften entwickelte. Manchmal zeigte er sie mir, mit einem scheuen Lächeln. Ich wusste auch, dass er in vielen Hinsichten noch immer sehr menschlich war. Er mochte es nicht, vor 10 aufzustehen – wenn ich vorher anrief, war er mürrisch. Er wollte die Benzinanzeige nicht unter einer Vierteltankfüllung fallen zu lassen – sein Dad hatte ihm gesagt, das sei schlecht für den Motor. „Ich hab' so was noch nie gehört", sagte ich, als er es erwähnte. „Bist du sicher, dass du es nicht nur deshalb sagst, weil die Benzinlampe vom Jetta aufleuchtet, und du am ausflippen bist?" Er lächelte, und ich kannte ihn ein bisschen besser als vorher. Ich lernte, dass wir beide Erdnussbutter und Brot mit Erdbeermarmelade mochten. Ich lernte, dass er Pizza mit allen Belägen mochte, und ich mochte Pizza nur mit Käse. Er aß Pizza mit reinem Käsebelag, als wir rausgingen, und beschwerte sich nicht. Es schien ihn überhaupt nicht zu kümmern. Er meinte, es sei keine große Sache. Ich erfuhr, dass er Komödien lieber mochte als Dramen – genau wie ich. Er merkte, dass ich Schoko-Donuts mochte, und brachte sie manchmal, während ich arbeitete, vorbei – einmal war ich im Hinterzimmer, massierte die Spannungen in meinem Nacken und inhalierte Lavendelöl, um mich auf Michaels Ankunft vorzubereiten. Da erschien Max mit einer kleinen Papiertüte in seinen Händen im Hinterzimmer und lächelte. Ich merkte, dass ich mittlerweile mehr nach Max als nach Michael Ausschau hielt, aber ich sagte mir, es sei nur natürlich. Mit wem verbrachte ich mehr Zeit? Wer sprach regelmäßig mit mir? Er kam ins CrashDown, und wir redeten, während ich andere Kunden bediente. Samstagabends, wenn ich zusperrte, kam er rein und redete mit mir – und mit Michael, wenn er auch arbeitete. Michael brummte und schimpfte, dass Max hier nur seine Zeit vergeudete, aber ich wusste, dass er über Max' Anwesenheit froh war. Wenn Max da war, ließ ich Michael wegen seines Schweigens mir gegenüber in Ruhe. Es kümmerte mich dann nicht so sehr. Manchmal hingen wir mit Max in seinem Haus rum, während Isabel oder Tess oder beide da waren. Isabel war höflich. Tess war eisig. Ich bemerkte ihren starren Blick, wenn Max und ich lachten, und sie sah traurig und verwirrt und wütend aus. Aber meistens waren wir unter uns. So konnten wir leichter reden. Wenn irgend jemand in der Nähe war, hielten wir uns zurück. Wir waren höflich. Zwei Menschen, die ihre Zeit zusammen verbrachten, weil jeder in den besten Freund des anderen verliebt war. Eines Abends, nach der Arbeit, fragte Max mich, ob ich mit ihm eine Autofahrt machen wolle. Ich sagte, „Sicher." Wir fuhren in die Wüste, und ich merkte, dass Max die Straße 285 mied, wofür ich ihm dankbar war. Er war immer so aufmerksam bei diesen kleinen Dingen. Er hielt bei einer großen Felsformation an, und ich schaute ihn neugierig an. „Was machen wir hier?" „Das ist der Platz... wo ich dieses ganze Zeug mit den "Orbs" sah. Wo ich von Tess und meiner Vergangenheit erfuhr. Ich wollte es dir zeigen. Damit du vielleicht verstehst." In diesem Moment entstand eine Pause, etwas geschah in diesem Moment. Ich fühlte ein leichtes Frösteln, weil ich verstehen wollte. Nicht für Liz. Nicht, weil es mir mit Michael nützlich sein konnte. Nur für mich selbst. In diesem Moment beschloss ich, waghalsig zu sein. Typisch für mich. Aber ich fühlte mich geschmeichelt. Geschmeichelt dadurch, dass Max wünschte, ich würde es verstehen. Ich neigte mich rüber und küsste ihn auf die Wange. „Das möchte ich gerne. Danke, Max. Danke für dein Vertrauen." Ich hörte, wie er einatmete, und bemerkte den feinen, würzigen Duft seiner Haut. Ein gemütlicher Duft – nach Seife, Aftershave und gegenseitigem Vertrauen - und meine Waghalsigkeit verflüchtigte sich augenblicklich. Und in diesem Moment drehte Max seinen Kopf. Nur ein wenig, aber es war genug. Unsere Lippen streiften einander. Sanft zuerst. Fast zögerlich. Wie in einem Traum. Aber es war real, weil keiner von uns wegrückte. Max' Mund war warm und sanft und fühlte sich gut an. Real und schön, und ich fühlte mich lebendig. Zum ersten Mal im ganzen Sommer störte es mich nicht, dass ich in Roswell geblieben war, dass Michael nicht mit mir redete, dass meine Arbeit langweilig war, dass ich nicht genug Geld für Klamotten für den Schulanfang hatte. Ich löste den Sicherheitsgurt und rutschte näher zu ihm, und er machte tief in seiner Kehle einen Laut. Der entsprang nicht blinder Leidenschaft. Er entsprang dem Trost, dem Verlangen, der Traurigkeit und Sehnsucht, und ich mochte das. Ich brauchte das. Max zu küssen war schön. Wirklich schön. Ich öffnete meinen Mund unter seinem und schlug die Arme um ihn. Seine Hände gruben sich in mein Haar, und ich wusste, er sah dabei keine Sterne oder Galaxien oder andere Visionen, und war froh darüber. Seine Zunge glitt in meinen Mund, und er schmeckte nach Zahnpasta, Sodawasser und Verständnis. Michael schmeckte immer nach Kaffe und Angst. Ich legte meine Hände um seinen Nacken. Seine Haut war kühler als Michaels. Ich fragte mich, wie wohl meine Haut sich im Vergleich zu Liz' anfühlte. Sein Mund rutschte über mein Kinn und den Hals entlang, und ich neigte meinen Kopf nach hinten. „Maria", flüsterte er, und in seiner Stimme war Frage und Furcht. Ich hob meinen Kopf und rückte kurz zurück, schaute in seine Augen. „Schon gut", flüsterte ich, „Ich bin auch einsam." Er blinzelte, und ich dachte, dass er weinen würde. Aber er küsste mich wieder, und ich hielt diesmal die Augen offen. Ich wollte sehen, dass es Max war, der mich küsste. Es war schön zu wissen, dass jemand verstand, wie ich mich fühlte. Es war schön, sich begehrt zu fühlen. Nach einer Weile gingen wir zur Höhle, und er zeigte sie mir. Er erzählte mir alles, was an diesem Tag im Mai geschehen war, und ich hörte zu, ohne mich verbittert zu fühlen. Wir redeten, während die Sterne sich über uns drehten, und ich hegte keinen Groll mehr gegen sie. Später fuhr er mich nach Hause, und wir redeten leise, während der Jeep durch die dunklen und stillen Straßen von Roswell rollte. Er parkte das Auto und begleitete mich zur Tür. Niemand hat das jemals für mich getan. Ich weiß, dass ist ein trauriger Kommentar zu meinem Liebesleben. „Danke", sagte er, und ich verstand, dass er es ehrlich meinte. Ich hätte mich in dich verlieben sollen, dachte ich. Max zu lieben wäre leicht. Es wäre leicht und schön und voller Freude. Max und ich hätten das ganze Bestimmungsfiasko durchstehen können. Er lächelte mir zu, und ich fragte mich, ob er das Gleiche dachte. Er hob die Hand und streichelte kurz mein Gesicht mit seinen Fingerspitzen. „Michael weiß, wie außergewöhnlich du bist", flüsterte er, „Er ist bloß noch nicht bereit das zuzugeben. Aber er wird." Ich erwiderte sein Lächeln und liebte ihn ein wenig für diese Lüge. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Datum: 25.07.2000 Du klingst viel besser. Maria – ich – ich freue mich für dich. Und ich bin auch neidisch. Schau wie weit ich weglaufen musste, um meinen Frieden zu finden. Und ich denke nicht, dass ich ihn bereits gefunden habe. Aber du klingst glücklich. Bist du glücklich? Ich habe mir geschworen, dass ich nicht danach fragen werde, aber ich kann nicht anders: Wie geht's Max? Hast du ihn gesehen? PS Schade, dass wir gestern nicht länger reden konnten. Ich entschädige mich, indem ich dich mal unangemeldet anrufe! PPS Hast du meine Karte gekriegt? ************** Nach dieser Nacht in der Wüste redeten Max und ich überhaupt nicht mehr von Liz. Auch nicht von Michael. Das waren stillgelegte Themen für uns. Sie waren real. Wir waren nur vorübergehend. Zufällig. Eine Postkarte sozusagen. Ein Bild, das nur einen Teil der Geschichte zeigt. Eines Abends war er bei mir zu Hause, und wir kochten Pesto. Er schwor, dass er wusste, wie es gemacht wird, und ich dachte, das wird bestimmt lustig. Also sagte ich ihm, nur los, mach mir ein Abendessen. Was er tat. Ich konnte nicht fassen, wie nett er war. Wie bereitwillig er kochte. Wie bereitwillig er das benutzte Geschirr abwusch. Wie bereitwillig er sich umdrehte und mich flüchtig auf die Wange küsste, während er die kochende Soße rührte. Wie bereitwillig ich da war. Wie glücklich ich war. Die Dinge zwischen uns waren in einer eigenartigen Schwebe. Wir hingen zusammen herum, gingen essen, liehen Videos – in dieser Art. Freundschaftliche Dinge. Aber wir küssten uns weiterhin. Ich sagte mir, es wäre keine große Sache. Es war gewöhnlich auch nur ein Kuss oder zwei am Ende des Abends. Eine Art Abschiedskuss, sagte ich mir. Das war bloß, weil wir beide uns mit jemandem verbunden fühlen wollten. Weil wir beide uns traurig fühlten. Weil wir beide einsam waren. Aber keine große Sache an sich. Das redete ich mir ein. Max war mit dem Pesto fertig, als das Telefon klingelte. Ich steckte meinen Finger in die Soße und lächelte Max an, während ich den Hörer abnahm. „Hallo?" „Maria!" Ich schwöre, die Küche schrumpfte. Sie wurde eng, und sie schaukelte, worauf mein Magen sich verkrampfte und zusammensackte. „Hey, Liz." Max starrte mich an und sah genauso schockiert aus, wie ich mich fühlte. „Wie geht's?", fragte ich sie. Es klang mechanisch und falsch und ängstlich, selbst für meine eigenen Ohren. Liz erzählte, wie es ihr ging – vermutlich klang ich doch normal –, und ich hörte zu und sah auf Max, der mich noch immer mit weit geöffneten Augen anstarrte. Ich spürte, wie die Soße von meinen Fingern auf den Boden tropfte. Liz fragte etwas. „Was?", sagte ich. „Wie geht's im CrashDown? Ist es voll? Dad meint, es sei immer voll, aber du kennst ihn ja." „Es geht so." Ich hob die Hand. Die meiste Soße war weg, aber kleine Reste waren noch zwischen Daumen und Zeigefinger geblieben. Ich leckte sie ab, spürte den Geschmack von Basilikum und Knoblauch und versuchte, nicht zuviel nachzudenken. Ich hörte einen kleinen Laut und schaute zu Max. Er starrte mich immer noch an, aber seine Augen waren nicht mehr weit geöffnet und schockiert. Sie waren fokussiert und dunkel – diesen Blick hatte ich einmal gesehen, als ich ihn und Liz im Hinterzimmer des CrashDowns überrascht hatte. Er starrte auf meine Hand. Auf meinen Mund. Auf mich. Endlich kam dieser Moment, auf den ich so lange gewartet hatte. Endlich hörte ich etwas in meinem Hinterkopf. Unter und rund um Liz' Stimme in meinem Ohr hörte ich meine eigenen Gedanken. Ich war in meiner Küche. Mit Liz' Ex-Freund. Der sie noch immer liebte. Ich war in meiner Küche. Mit dem besten Freund von Michael. Max und ich waren nicht mehr dem Erbarmen von Leuten ausgeliefert, die uns nicht wollten. Ich wusste es. Sein Blick sagte, dass er es auch wusste. Er wollte mich. Ich konnte es sehen. Wann habe ich das letzte Mal Sehnsucht und Verlangen und Leidenschaft auf einem anderen Gesicht als meinem eigenen gesehen? Was wir taten hatte nichts mit Melancholie und Einsamkeit zu tun. Nicht mehr. Es ging um zwei Menschen, die sich gebraucht fühlen wollten. Begehrt. Es ging um zwei Menschen, die etwas völlig unerwartetes gefunden hatten. Etwas, was nicht sein durfte, aber entstand. Ich wollte mich beschämt fühlen. Vielleicht habe ich das auch, ein wenig. Aber weit mehr fühlte ich die Kraft. Ich hatte etwas, was niemand erwartet hatte. Max und ich hatten gemeinsam etwas erschaffen. Ich mochte es. Ich brauchte ihn. Und ich fühlte, dass er mich brauchte. Ich wollte ihn, und es traf mich so stark und blendend, als würde die ganze Leidenschaft, die ich jemals für Michael empfunden hatte, in einem strahlenden Moment vereint werden. Meine Hand fiel von meinem Mund, und ich starrte auf Max. „Ich muss gehen", sagte ich Liz. Liz und ich verabschiedeten uns, und Max kam zu mir rüber. Ich hörte ein „Ich ruf' dich bald an", als Max mein Shirt hochzog. Ich zischte noch ein ‚Gut', als Max sich neigte, um meinen Hals zu küssen, und seine Hände meine Brustwarzen streichelten. Ich hörte ein ‚Klick', als Liz den Hörer auflegte, und seine Zunge bewegte sich entlang meines Halses, und sein Mund erreichte mein Schlüsselbein. Das Telefon fing an zu summen, weil keine Nummer gewählt wurde, und Max zog mein Shirt über meinen Kopf und schob den BH über meine Brüste. Ich hörte das leise Telefonsummen durch mein eigenes Atemgeräusch, als sein Mund sich zu meiner Brust bewegte. Wir landeten auf dem Küchenboden, und ich stieß das Telefon mit einer Hand weg, so dass es an die Wand schlug. Ich sperrte seinen Lärm aus, mit Max' Mund auf meinem, seine Hände auf meinem Körper, meine Hände auf seinem Körper. Später, als meine Mom nach Hause kam, fand sie uns in der Küche beim Pasta Essen mit Pesto-Soße. „Wow, das riecht gut hier!", sagte sie. Ich atmete ein und roch Basilikum und Knoblauch, Max und mich selbst. Ich schaute auf Max. Er lächelte mir zu, und ich lächelte zurück. Ich hatte keine Schuldgefühle. Es war die erste und einzige Nacht, in der ich Michael nicht angerufen habe. Ich vergaß es. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Schon August! Datum: 05.08.2000 Kannst du glauben, dass es bereits August ist? LOL – deine Geschichte von Agnes. Ich kann kaum glauben, dass sie mit dem Rauchen aufzuhören versucht! Du solltest es so arrangieren, dass sie in einer Schicht mit Michael arbeitet. Er verdient sie, meinst du nicht? Du hast nicht viel von ihm erzählt – hat sich etwas zwischen euch geändert? ************** Wenn ich die Person wäre, die ich immer sein zu wollen glaubte, würden die Dinge hier enden. Aber ich bin nicht die Person, die ich sein zu wollen glaubte. Ich bin nur ich selbst, und in Wirklichkeit ist es gar nicht so schlecht. Ich bin gar nicht so schlecht. Ich dachte, vielleicht würde Max die Dinge beenden wollen, aber er wollte nicht. Wir beide hatten uns langsam in etwas treiben lassen, und als wir es wahrgenommen hatten, waren wir nicht mehr bereit es aufzugeben. Wir wussten natürlich beide, dass wir es irgendwann mussten – abgesehen davon, dass wir beide andere Menschen liebten, hatte er noch mit seiner ganzen Vergangenheit und Zukunft zu kämpfen. Und ich mit meiner. Ja, meine Zukunft. Im Rückblick denke ich, dass ich bei allem, was geschehen war, Max am meisten für mein neu entdecktes Selbstvertrauen dankbar bin. Er hat sich um mich gekümmert. Auf eine völlig andere Weise, als Liz es tut. Sie liebt mich wie eine Schwester, wie jemand, der dich von Innen und Außen kennt und dich immer lieben wird. Was ich und Max hatten, war ganz anders als Michaels Gefühle für mich, die eng mit Schuld und Begierde und Angst und anderen Emotionen aus der Pandoras Kiste verwickelt waren. Max mochte mich – meinetwegen. Und ich mochte ihn. Es war wirklich so einfach. Ich wünschte fast, ich könnte von niederschmetternden Gesprächen berichten, in denen wir uns mit dem Geschehenen und seiner möglichen Bedeutung quälten. Wir hatten keine solchen Gespräche. Nach dieser Nacht in meinem Haus verbrachten wir noch mehr Zeit zusammen. Als würden wir uns einen Vorrat schaffen wollen. Und an einem Nachmittag Anfang August war ich im Hinterzimmer des CrashDowns und bereitete mich auf den Heimweg vor. Ich wollte nach Hause gehen und eine Dusche nehmen – Max wollte später vorbeikommen, und wir wollten bowlen gehen – das letzte Mal hatte ich ihn um 7 Punkte geschlagen, und er hatte nach einer Revanche verlangt. Ich schloss gerade meinen Spint ab, als ich seine Stimme hörte. „Hey, Maria." Michael. Meine Hände fingen sofort an zu zittern. „Hey, Michael." Ich drehte mich um, um ihn anzusehen. Seine Frisur war seit einigen Wochen anders – er kämmte die Haare nach vorne und unten, und ich fragte mich, ob Isabel ihm das vielleicht empfohlen hatte. Vor Max hätte ich wahrscheinlich sofort zu plappern angefangen, um ihn zum Sprechen zu bringen. Jetzt sagte ich nichts. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, dann hob er sie hoch und fuhr durch sein Haar. Jetzt sah sein Haar wie ein Mischmasch aus altem und neuem Stil aus – es hing über seinem linken Ohr und stand auf der rechten Seite nach oben. Es sah hinreißend aus. „Du verbringst viel Zeit mit Max", sagte er endlich. Ich weiß nicht, warum ich gedacht hatte, dass er nichts merkte. Dummheit? Wunschdenken? Ich weiß es nicht. „Ja, tue ich." Michael blinzelte, als ich das sagte, und ich sah Überraschung auf seinem Gesicht. Er hatte geglaubt, ich würde ihn anlügen, und das tat weh. „Ist es... seid ihr... oder?" Ich schüttelte den Kopf und fing an zu reden, weil ich genau wusste, wieviel es Michael zu sprechen kostete. Er war noch nicht bereit, mit mir zu reden. Aber er war besorgt – auf seine eigene Michael-Art. „Nein." Nicht so. Nicht wie Max und Liz. Nicht wie du und ich. Und dann bedrängte ich Michael zu sehr, weil ich halt so ein Mädchen bin. „Wollen wir später weiter reden? Ich kann dich nach der Arbeit treffen?" Michael sah mich an. „Nein", sagte er endlich. „Nein." An diesem Abend, nachdem ich Michael angerufen und eine Nachricht hinterlassen hatte, fing ich an zu weinen. Ich legte den Hörer auf, und Max hielt mich. Er küsste meine Tränen weg, und als sein Mund auf meinen traf, konnte ich meinen eigenen Kummer schmecken, leicht salzig und ein wenig bitter. ************** Von: lparker84a@hotmail.com An: karaokequeen23@hotmail.com Betreff: Bin auf dem Weg! Datum: 09.08.2000 Bis bald. Ja – ich kann es endlich sagen, weil es wahr ist! Ich fahre in einer Stunde zum Flughafen. Wir treffen uns heute abend. Ich hab' Geschenke für dich. Eine Menge Muscheln. :) Hab' dich lieb. Lizzie ************** Liz kam um sieben Uhr Dienstagabend zurück. Ich wartete im CrashDown auf sie. Als sie durch die Tür kam, überschlug mich eine Welle der Liebe und Sehnsucht nach ihr – ich hatte vergessen, wie klein sie war. Ich hatte ihr Lächeln vergessen. Ich hatte sie so vermisst. Wir umarmten uns fest. „Also," sagte Liz, „Wie geht's dir?" Ich schaute durch das CrashDown auf Max, der am Tisch bei der Tür saß. Am vorigen Abend war er vorbeigekommen, als ich den Laden schloss, und er hatte mir geholfen, den Boden aufzuwischen, und hatte mich danach nach Hause begleitet. Seine Brust war glatt und fest unter seinem T-Shirt, und ich schloss die Augen, als wir uns berührten. Ich ließ meine Gedanken über die Ereignisse des Sommers fliegen. Als ich am nächsten – an diesem – Tag aufwachte, leuchtete meine Haut schwach – alle Farben des Regenbogens glühten auf meinem Bauch. An dem Abend hatte er seine Turnschuhe getragen, und am nächsten Morgen zierte immer noch ein staubiger Schuhabdruck das Sofa. Mom hatte es gesehen, aber nichts gesagt. „Du weißt schon", sagte ich, „alles wie immer. Komm schon, ich helfe dir, das Zeug nach oben zu bringen. Und dann möchte ich alles über Florida erfahren. Du kannst damit anfangen, woher du diesen Nagellack hast... was für eine Farbe! Und danach will ich meine Geschenke sehen, okay? Ich habe auch eins für dich, weil meine Mom neue Öle bekommen hat und..." Sie lachte, und wir gingen nach oben und tratschten. Zum Abschied sagte ich, dass ich glücklich sei, sie wiederzusehen. Ich war glücklich. Ich war tatsächlich glücklich. Wäre sie länger weggeblieben, wüßte ich nicht, was geschehen wäre. In dieser letzten Nacht mit Max schwankten wir auf der Kippe zu etwas völlig neuem. Ich bin froh, dass wir nicht gefallen sind. Mein Leben ist ohnehin schon durcheinander genug, wie auch sein Leben. Auf dem Heimweg traf ich Isabel. „Ich möchte langes Haar haben", sagte ich ihr. „Du kannst es doch, oder?" Sie schaute mich mit trauriger Neugier an. „Ist das für Michael?" „Nein", sagte ich, und ich log nicht. „Es ist für mich. Ich wünsche eine Abwechslung. Du schuldest mir das, Isabel." Sie starrte mich eine Weile an und fuhr danach mit ihrer Hand über meine Haare. „Ich frage nicht", sagte sie, „also erzähl es mir auch nie." Ich nickte ihr zu und lächelte. Einige Sachen ändern sich nie, und dafür bin ich dankbar. Am nächsten Tag kamen Michael und Max ins CrashDown. Michael tat so, als hätte er mein Haar nicht bemerkt, aber ich wusste es besser. Ich sah, wie er es durch das Küchenfenster anschaute. Max sagte, es sähe gut aus. Ich lächelte und sagte, dass ich es auch mochte. Liz und ich sperrten an diesem Abend zu, und wir redeten darüber, dass wir einmal einkaufen gehen wollten, und dass die Schule bald anfing, und wie wir uns darüber freuten, dass der Sommer bald vorbei wäre. Ich merkte, wie sie von Zeit zu Zeit durch das Fenster blickte, aber ich sagte nichts. Als ich nach Hause kam, hinterließ ich eine Nachricht für Michael. Ich sagte, dass ich besseres als Schweigen verdiente. Seitdem habe ich ihn nicht mehr angerufen. Und heute früh sagte mir Liz, dass sie glaubte, bereit zu sein, mit Max zu sprechen. Ich sagte, leg los. Ich sagte, es wäre an der Zeit. Ich schaute Max an, der Liz ansah, als sie sich ihm näherte. Ich sah sein Herz in seinen Augen. Ich zupfte an meinen Haarspitzen und suchte nach Michael, und er nickte mir zu, als er vorbeiging. Vielleicht bedeutet das etwas. Vielleicht auch nicht. Als ich heute nach Hause kam, wartete eine Postkarte auf mich im Briefkasten – kein Text, keine Adresse, nur mein Name. Es war ein Foto von Ansel Adams, eine Wüstenlandschaft. Es sah ruhig und endlos aus, und als Liz es sah, sagte sie, es erinnere sie an Dinge, die sie vergessen wolle. Ich nickte und sagte, dass ich sie verstand. Ich heftete die Karte an meine Wandtafel. Sie ist hinter all den Karten, die Liz mir aus Florida geschickt hatte. Mom war gerade hereingekommen und sah sie an. „Die sind schön, Liebes. Versuchst du, den Sommer noch etwas länger hinzuziehen?" „Nein", antwortete ich. „Vielleicht doch. Nur ein wenig. Erinnerungen, weißt du?" Sie lächelte, nickte und umarmte mich. „Ich weiß." Ende